Inneres Beten 

Das innere Gebet, ein Weg der Erfüllung.

 

Der kleine Schritt in einen lebendigen Glauben

 

Wer sich heute mit Fragen des geistlichen Lebens beschäftigt, entsprechende Literatur liest oder an Kursen zu Themen der christlichen Spiritualität teilnimmt, wird kurz oder lang auf das Stichwort „inneres Beten“ stoßen. Würden Sie jedoch nach seiner Bedeutung fragen, kann es Ihnen passieren, dass Sie recht unterschiedliche Antworten bekommen. Ähnlich wird es Ihnen gehen, wenn Sie bei Exerzitienbegleitern oder in der spirituellen Seelsorge Tätigen Auskunft erbitten, und nicht viel anders, wenn sie sich in die geistliche Literatur vertiefen und nun darin nach einer klärenden Antwort suchen. Selbst der Blick in theologische Lexika, in Katechismen oder in Kompendien zur Gebetslehre und zum geistlichen Leben wird Sie in Ihrem Bemühen, definitive Klarheit zu erhalten, unbefriedigt lassen.

 

„Inneres Beten“ – ein Wort, über dessen genaue Bedeutung man sich also nicht so recht einig zu sein scheint, das im religiösen Sprachgebrauch zumindest uneinheitlich verstanden und verwendet wird. Und dennoch: ein Wort mit attraktiver Kraft. Ein Begriff, der jenseits des Lauten und Oberflächlichen in Kirche und Gesellschaft in die „Tiefe“ führt!

 

„Inneres Beten“ was ist das? Um darüber Klarheit zu bekommen, bleibt uns nur der Weg, in die geistliche Tradition zurückzuschauen und der Frage nachzugehen, woher das Wort „Inneres Beten“ kommt und was man im Laufe der Geschichte des Christentums darunter verstanden hat. Ich denke, eine solche Begriffserklärung ist heute dringend nötig, soll der große Schatz an geistlicher Erfahrung, der sich mit dem jahrhundertealten Wort verbindet, auch für unsere Zeit gehoben werden.

 

Der Weg durch die Begriffsgeschichte erweist sich freilich als eine recht wechselvolle Bedeutungsgeschichte, und es ist gar nicht so leicht, zu einer Definition zu finden, die uns ein gültiges und einheitliches Verständnis dieses „Fachbegriffs“ der christlichen Spiritualität ermöglicht. Im wesentlichen sind es vier Bedeutungen, die mir auf dem Gang durch die geistliche Tradition begegnet.

 

1. Einige verstehen unter „inneres Beten“   das stille Gebet des einzelnen, im Unterschied zum „mündlichen Gebet“ mit laut gesprochenen Worten.

 

2. Andere benutzen diesen Ausdruck gleichbedeutend mit Meditation, im Sinne der diskursiv-erwägenden und einfühlenden Betrachtung biblischer Texte und Glaubensgeheimnisse; meistens meint er in dieser Bedeutungsweise auch die konkrete Betrachtungszeit im Tagesverlauf klösterlicher und geistlicher Gemeinschaften.

 

3. Wieder andere bezeichnen mit „innerem Beten“ eine Gebetsstufe, bei der an die Stelle der laut oder still gesprochenen Worte und an die Stelle des diskursiven und bildhaften Betrachtens die von Gott her und zu Gott hin erwachte schweigende oder wortarme („kontemplative“) Liebe des Herzens tritt.

 

4. Die am häufigsten vertretene und nachweislich ursprüngliche Bedeutung ist jedoch folgende:

    Der Begriff „inneres Beten“ – in der lateinischen Kirchensprache „oratio mentalis“ –

bezeichnet das Wesen des Betens    überhaupt, den personalen Grundakt des betenden Menschen:

 

Die bewusste Hinwendung des Ich zum verborgen gegenwärtigen Du Gottes.

 

Zusammenfassend verschiedene Gebetsformen:

-          das geformte Beten mit einem Gebetstext, auswendig oder aus einem Buch, allein oder gemeinschaftlich

-          das liturgische   Beten, worunter ich jede Form von Gottesdienst, vor allem aber die Eucharistiefeier und auch das Stundengebet zähle

-          das persönlich-stille oder gemeinsam freiformulierte Beten

-          das betrachtende (meditierende) Beten

-          das schweigende Beten, das ein Mann von einfacher Herkunft dem Pfarrer von Ars mit den treffenden Worten beschrieben hat: „Gott schaut mich an, und ich schaue ihn an“.

-          Das rhythmische Beten, eine Form, bei der bestimmte Gebetsworte wiederholend, eventuell im Rhythmus des Atems, gesprochen werden. (Jesus-Gebet, Rosenkranz, Litanei...)

 

„Inneres Beten“ meint nicht eine spezielle Gebetsart neben anderen.

 

 

 „ inneres Beten“ heißt sich bewusst zu Gott hinwenden von Ich zu Du, „an Gott denken“, sich seine Gegenwart bewusst machen, zu Gott “du“ sagen und dieses „du, Gott...“ auch wirklich meinen...

 

 

Alle Gebetsformen haben ihren je eigenen, aber doch gleichen Wert im aufmerksamen Umgang mit Gott. Auch kann die eine Form dem einen Menschen mehr, dem anderen weniger liegen – so, wie Teresa von Avila mit der Betrachtung sich schwer tat und Therese von Lisieux mit dem Rosenkranz. Fehlt dem Gebet, von welcher Ausdrucksform auch immer, jedoch das „innere Beten“, so fehlt ihm die „Seele“. Die Aufmerksamkeit ist dann – bestenfalls – auf das Gebet oder den Ritus gerichtet, nicht auf den damit gemeinten Gott!

Edith Stein schreibt; „Wo nur Gebetsworte gesprochen werden, ohne dass der Geist sich  zu Gott erhebt, da liegt nur dem äußeren Scheine nach, nicht in Wahrheit ein Gebet vor.“

 

     Inneres Beten – wie geht das?

 

Inneres Beten hat keine Methode, die man erlernen müsste. Inneres Beten ist selbst die „Methode“, die einzige und allein notwendige, die man „können“ muss, um im eigentlichen Sinn ein glaubender Mensch zu sein, worauf Jesus so viel Wert legte (vgl. Mk 7,21) . Es mag viele hilfreiche Methoden für das praktische Gebetsleben geben: sie alle beziehen sich auf die Ausdrucksformen des Betens, nicht auf den Grundakt des Betens selbst; und sie blieben im Letzten wertlos, wenn ihnen die Grund-„Methode“, eben das innere Beten fehlte.

Was ist es, das da zu „tun“ ist? Ich versuche, mich einen Augenblick zu sammeln, innerlich ich selbst zu sein, so wie ich mich gerade vorfinde, und denke daran, dass Gott da ist; dass er um mich herum ist, in mir drin – wie die Luft, die mich umgibt, die mich umströmt und die mich am Leben erhält. Ich vergegenwärtige mir – eine Vokabel, die die geistlichen Meister  durch die Jahrhunderte hin gern benutzten -, dass Gott Wirklichkeit ist; ich mache mir bewusst, dass der Gott, den ich für wahr halte, an den ich glaube, nach dem ich suche, über den ich nachdenke ..., so wirklich gegenwärtig ist wie jede andere anwesende Person.

 

Dann folgt der eigentliche Schritt: Ich rede Gott an, von innen heraus, so dass wirklich ich es bin, der da redet...; ich sage „du“ zu Gott, zu diesem unfassbar großen Gott, den ich freilich nur „ahnen“ kann...- Wie von selbst sagt dann nicht nur der Verstand das „du“; inwendige Tiefenbereiche „sprechen“ mit... Aus dem „Du“ –Sagen wird eine stille, worthafte oder auch wortlose Zuwendung von Wesen zu Wesen, ein Sich-Zublicken, ein „Entgegen-Warten“ zu dem großen Geheimnis hin, das mich und alle Existenz umfängt, zu diesem Gott von unfassbarer Größe  und Weite, so verborgen und so nahe zugleich...

 

 Eine einfache Übung kann hier sehr hilfreich sein. Ich schließe die Augen und sage ganz bewusst den Satz: ,,Ich glaube an Gott“; ich horche in den Sinn der Worte hinein ... Näher betrachtet und nachempfunden drücke ich mit diesem kleinen Satz aus, dass ich eine religiöse, theistische Weltanschauung habe; ich bekenne mich damit zu einer bestimmten Welt- und Lebensdeutung, nicht weniger, aber auch nicht mehr. – Ich wiederhole diesen Satz noch einmal und füge einen zweiten an, den ich nun ebenso bewusst spreche: ,,Ich glaube an dich, Gott“; wieder gehe ich mit diesen Worten mit, versuche, das „an dich, Gott“ wirklich zu meinen ...Was dabei in mir geschieht, was ich dabei „tue“, was dabei den Unterschied vom ersten zum zweiten Satz ausmacht – das ist Inneres Beten.

 

„du, Gott“?

 

Mancher Zeitgenosse mag sich hier vor ein Problem gestellt sehen: Kann man sich denn Gott als Person vorstellen, ja ihn als Person, als „du, Gott“ anreden? In der jüdisch-christlichen Glaubenstradition ist die große göttliche Macht, die „die Welt im Innersten zusammenhält“, nicht eine „unpersönliche Kraft“ oder eine bloße „alles umfassende Energie“, wie sehr viele Menschen in unserem Kulturkreis derzeit glauben. Freilich: Wenn wir vom personalen Gott, ja sogar von drei Personen in Gott sprechen, ist das wie ein Fenster, ein Begriffs-Fenster, durch das wir auf weit Größeres hinausblicken als das, was wir als Person und Persönlichkeit im menschlichen Bereich kennen. Gott ist selbstverständlich in einem viel

 

 

 

umfassenderen und vollkommeneren, für uns nicht auslotbaren Sinn „Person“. Doch kein anderes Wort wäre geeignet und angemessen, um in die allein mögliche Richtung zu weisen, in der wir von Gott denken und uns seine Wirklichkeit bewusst machen dürfen. Kann denn Gott, der Urgrund von allem, was da ist, kleiner und geringer sein als das, was die Schöpfung als höchste Daseinsform hervorgebracht hat? Kleiner und geringer als ein Mensch?

Und kann er denn von geringerer Daseinsform sein als der Galiläer Jesus von Nazaret, der uns als eine menschliche Person und Persönlichkeit Gott nahegebracht und vorgelebt hat? – Gott, das sind drei, die mindestens das sind, was wir Person nennen ...

 

eine neue Art, das Leben zu leben

 

Übt man sich – nicht nur während besonderer Gebetszeiten, sondern so oft man daran „denkt“ – in diese Vergegenwärtigung Gottes“ ein wenig ein, verändert sich das ganze Lebensgefühl. Bisher brachliegende Kräfte der Seele werden wach, man bekommt für alles einen tieferen Blick. Glaube wird eine Lebensweise, ein Mitleben, Mitlieben, Mitleiden mit Jesus und seinem Gott ...

Inneres Beten ist in der Tat ein ganz einfaches, für jeden Menschen vollziehbares „Tun“ der Seele, das während der Gebetszeit das „Gebete-Verrichten“ zum Beten macht und während des Tages das Leben und Arbeiten ein Gemeinschaftswerk mit Gott werden lässt. Inneres Beten braucht ausdrückliche Gebetszeiten. Es lässt sich darauf aber nicht einschränken. Der vertraute und vertrauensvolle Umgang mit Gott ist auch, wie Teresa sagt, „zwischen den Kochtöpfen“ möglich und kann zum „immerwährenden Beten“ und zum Weg der Freundschaft mit Gott werden, der immer alle in die Freundschaft einschließt, die Jesus Christus „Freunde“ (Joh 15,15) genannt hat. Wer Glauben als Leben in Beziehung verstehen und in Gott einen Freund und Weggefährten sehen kann, findet wie von selbst dahin, dass das auch noch so gewöhnliche, oft so „profane“ Tagewerk nicht nur vom Gebet umrahmt und Gott ,,geweiht“, sondern auch mit Gott gestaltet sein will. Gott ist in der „Küche“ ebenso da wie im Gebetswinkel oder in der Kirche; ich verweile bei ihm in den Zeiten des Gebets und ich gehe mit ihm an die Arbeit, treffe meine Entscheidungen mit ihm, lache mit ihm und weine mit ihm ...

Nach Teresas Erfahrung vollendet sich Glaube nicht in der Anbetung Gottes, er wächst darüber hinaus zum „Einssein mit Gott“, das nach ihrem und dem Zeugnis vieler christlicher Mystiker immer auch ein Einsein mit Gott im Handeln, die Hinwendung mit Gott zu seiner Schöpfung einschließt. So konnte Teresa es auch von ihrem geistlichen Gefährten Johannes vom Kreuz hören. Er hatte sich dieses Grundprinzip des geistlichen Lebens vom Leben des Dreieinigen Gottes selbst „abgeschaut“, in dem immer zwei eins sind in der Liebe zum Dritten.

 

  

Inneres Beten ist der Weg in eine neue Art, das Leben zu leben.

 

    Toni Marb

 


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